Das Jahr 2010 war für mich so turbulent und unerfreulich, dass in mir das dringende Bedürfnis wuchs, einfach mal abzuhauen und das hektische Deutschland hinter mir zu lassen. Gedacht, getan. Ich bin dann mal weg ¦..
Kurzentschlossen flog ich nach Afrika. Mein Freund Max Werner Kahl hat mich spontan in seine Reisegruppe von achtzehn Leuten aufgenommen, denn die Reise war bereits von langer Hand geplant.
Inmitten einer Farm mit Tieren und Bananenhainen hat Max eine Kirche und das Amani Haus gebaut. Und die offizielle Einweihung sollte am 16. Oktober 2010 stattfinden. Genau das Richtige für mich, von dem Trubel der letzten Monate hier in Deutschland Abstand zu gewinnen.
Die umfangreichen Impfungen ließ ich über mich ergehen, obwohl ich noch keinen Flug hatte und mein Reisepass abgelaufen war. Max ergatterte dann für mich den vorletzten Platz im Flugzeug. Es konnte also losgehen!
Wir trafen uns am 10. Oktober um 20.00h am Frankfurter Flughafen. Außer Max, dem Leiter der Gruppe, kannte ich niemanden. Ich bekam von ihm noch einen zusätzlichen Koffer, der mit wertvoller Technik wie Laptop, Beamer etc. gefüllt war und gab ihn unter meinem Namen auf. Die Dame am Schalter von Äthiopien Airline war sehr freundlich und checkte mich und mein Gepäck bis zum Zielflughafen ein. Am Schalter stand Addis Abeba, wo immer das auch war ¦.
Ich hatte mich entgegen meinen Gewohnheiten buchstäblich um nichts gekümmert, befolgte alle Anweisungen von Max und schloss mich vertrauensvoll der Gruppe an.
Wie sich herausstellte saßen wir im Flugzeug verstreut, nur in kleinen Einheiten von 2 bis 4 Personen gemeinsam und vertrieben uns die Zeit von rund 7 Stunden.
Gut angekommen in Addis Abeba vertraten wir uns die Beine und tranken Kaffee bis zum Weiterflug. Erneut saßen wir verstreut im Flieger und ich saß alleine zwischen Unbekannten. Niemand aus der Gruppe war in Sicht.
Nach weiteren zwei Stunden landeten wir und die meisten Passagiere stiegen mit mir aus. Forschen Schrittes suchte ich zunächst die Waschräume auf und überlegte, dass es wohl besser sei, auf die anderen aus der Gruppe zu warten, beschloss aber dann schon mal in Richtung Gepäckausgabe zu gehen. Denn dort werden sich voraussichtlich alle treffen ¦.
Zunächst musste ich ein Visum beantragen, mit Fingerabdrücken, Foto und allem drum und dran. Ein Schild informierte über den Preis von 20 Euro, der dafür fällig wurde.
Seltsam. Max hatte uns gesagt, dass es 50 US kosten würde. Ich war verwundert und erkundigte mich bei einer Dame, die vor mir in der Reihe war. Sie schien schon häufiger hier gewesen zu sein und versicherte mir, dass es früher mal 50 US gekostet habe.
Nach Erledigung der Formalitäten wanderte ich zum Gepäckband. In der Zwischenzeit hielt ich immer wieder nach meiner Gruppe Ausschau, aber es kam mir kein Gesicht bekannt vor. Stattdessen wurde ich immer wieder von Fremden gefragt, ob ich alleine reisen würde.
Das Gepäckband lief, auf dem Schild Stand Frankfurt - Addis Abeba, aber weder meine Koffer noch meine Gruppenmitglieder erschienen. Ich sprach eine Flughafen Mitarbeiterin an, zeigte ihr meinen Gepäckabschnitt und fragte sie nach meinem Gepäck. Natürlich auf Englisch, aber das war für mich zum Glück kein Problem.
Sie schüttelte nur den Kopf und meinte, ich sei in Nairobi und mein Zielflughafen sei Kilimandscharo Airport in Tanzania. Ich war also zu früh ausgestiegen. Das durfte doch nicht wahr sein!
Ich fragte schnell, ob mein Flieger noch da sei, aber sie verneinte nachdrücklich. So ein Mist ¦. jetzt nur die Ruhe bewahren.
Ich bat sie um Hilfe. Ich müsse unbedingt heute noch an meinen Zielflughafen. Daraufhin führte sie mich im Flughafengebäude zu einer Art Bretterverschlag. Hier sollte mir also geholfen werden? Ich war misstrauisch und wollte zunächst nicht hineingehen bis mir am Ende des Raumes eine gut aussehende Frau freundlich winkte. Come in, come in rief sie mir zu. Sie machte einen guten Eindruck auf mich, zu einem Mann wäre ich wahrscheinlich nicht in den seltsam wirkenden Raum gegangen. Es war ein kleiner, schmaler Raum mit einer Brettertheke, die als Eingang diente. Am Kopfende saß eine hübsche Farbige mit Handy und krallenartigen roten Fingernägeln, die noch zum Einsatz kommen sollten ¦..
Das sollte also ein Reisebüro sein?
Aber, wie sich schnell herausstellte, sprach die Frau sehr gut Englisch.
Inzwischen hatte mich das ganze Ausmaß meiner Situation erfasst.
Ich war mutterseelenalleine in Nairobi, hatte kein Handy und keine Kreditkarte dabei, nicht einmal die Adresse von meinem Aufenthaltsort.
Und das ausgerechnet mir, der Managerin, die sonst immer bestens organisiert ist und sich nur sehr ungern die Zügel aus der Hand nehmen lässt. Ich hatte mich vollkommen eingelassen und entgegen meinen sonstigen Gewohnheiten um gar nichts gekümmert. Einmal alles laufen lassen, nicht immer so perfekt sein, das war eigentlich die Lektion, die ich lernen wollte. Und nun? Das hatte ich nun davon. Nur ruhig Blut bewahren. Es hilft nichts. Ich muss hier heute noch weg!
Die Dame im Reisebüro hieß Lucy. Iich erklärte ihr mein Problem und bat sie eindringlich mir zu helfen. Ja meinte sie, soweit sie wisse fliege heute noch eine Maschine nach Kilimandscharo Airport. Sie müsse das prüfen. Es war inzwischen 14.00h.
Sie verließ mich und ich wartete und wartete. Meine Gedanken kreisten wie wild und mein Adrenalin Spiegel war spürbar erhöht.
Hoffentlich komme ich hier heute noch weg. Lieber Gott bitte helfe mir, beschütze mich und geleite mich heute heil an mein Ziel.
Bloß nicht in Deutschland anrufen. Mein Mann würde sich noch größere Sorgen machen als ich und wie sollte ich ihm denn das alles erklären? Nein, es musste einen anderen Weg geben um die Zieladresse herauszufinden.
Die anderen saßen noch im Flieger. Sie würden also innerhalb der nächsten Stunde landen. Und Max würde mich dann vermissen, sich Sorgen machen und das war meine größte Sorge, was würde mit dem Koffer mit den wertvollen Techniksachen passieren, den er mir anvertraut hatte. Oh Gott! Das machte mir Kopfzerbrechen.
Ich kontrollierte meine Gedanken, vertraute auf Gott und spürte wie meine aufgestiegene Angst langsam wieder verschwand. Nur die Ruhe.
Lucy kam zurück. Hatte gute Nachrichten für mich. Ich könne um 18.00h den letzten Flieger nehmen, er koste allerdings 270 US. Puh!
Die Alternative sei ein Bus, der rund 10 Stunden fahren würde. Nein danke, ich alleine mit meinem Reisegeld am Körper versteckt stundenlang im Bus durch Afrika. Das könnte mich das Leben kosten. Was waren dagegen schon 270 US?
Eine Nacht in Nairobi wollte ich auf keinen Fall verbringen. Nicht auszudenken, dass ich das Flughafengebäude verlassen müsste. Wer weiß wo mich der Taxifahrer hinbringt. Schluss jetzt mit den Gedanken ¦..
Ich entschied mich für den Flug. Hauptsache heute noch weg hier!
Lucy war sehr um mich bemüht. Ich erzählte ihr von den Holy Spirit Sistern. Das einzige was ich hatte war ein Schreiben von Max mit der Adresse der Schwestern in Mammolshain. Lucy recherchierte per Telefon, aber kam und kam nicht weiter. Bis wir auf die Idee kamen im Internet zu suchen. Sie hackte mit ihren krallenartigen Nägeln auf ihrem Blackberry herum. Das war es.
Sie rief dort gleich an und erklärte die Lage.
Die Schwester sprach daraufhin direkt mit mir. In gutem Englisch, was ein Glück! Ich solle mir keine Sorgen machen. Sie würden mich auf Flughafen abholen.
Wie sich herausstellte hatten wir die Oberschwester gerade noch erwischt. Sie wollte sich auf den Weg machen, um unsere Reisegruppe vom Flughafen in Kilimandscharo abzuholen. Sie wusste also noch vor Max, dass ein Schäfchen aus der Gruppe verloren gegangen war.
Ich musste noch 3 Stunden bis zum Weiterflug warten. Eine endlose Zeit, in der ich meinen Abflugschalter nicht aus den Augen ließ. Denn ein weiteres Mal durfte nichts schiefgehen.
Um 18.00h ging es endlich weiter. Glücklich im Flugzeug sitzend genoss ich entspannt mein erstes Kilimandscharo Bier.
Wie heißt eigentlich die Fluggesellschaft mit der ich gerade fliege? Keine Ahnung. Hauptsache weg hier.
Gut angekommen am Zielflughafen begab ich mich auf die Suche nach meinem Gepäck. Ich wollte sicher sein, dass es nicht am Flughafen stehen blieb. Und das wurde eine größere Sache, wie alles in Afrika.
In der Gepäckausgabe zeigte ich wieder meinen Gepäckabschnitt und erntete Kopfschütteln. Die Dame wusste nichts davon und verwies mich an einen Aufseher. Auf den musste ich erst einmal warten, er machte Pause.
Ich trat also aus dem Flughafengebäude, um Ausschau nach den Schwestern zu halten. Es war inzwischen schon dunkel, statt der Schwestern kamen mehrere Taxifahrer auf mich zu. Do you need a taxi? Are you allone?
Nichts wie weg hier. Ich trat zurück ins Flughafengebäude und ging in die Waschräume, um meinen Geldgürtel noch enger zu schnallen.
Inzwischen war der Aufseher aufgetaucht. Er tat geschäftig, ging immer wieder von Raum zu Raum, bis er mir mitteilte, es sei kein Gepäck von mir da. Dann wollte er Geld von mir haben, er habe mir doch geholfen. Nein Danke, ohne mich.
Ich ging wieder raus, um nach den Schwestern zu schauen. Niemand war in Sicht. Die letzte halbe Stunde war mir wie eine Ewigkeit erschienen. Die Zeit verging hier noch langsamer als in Nairobi. Hatte ich mir doch einen kleinen rettenden Empfang gewünscht, stattdessen erschienen immer wieder diese Taxifahrer , die auf mich einstürmen wie Piranhas auf frisches Leben.
Ich war weiß. Nun fühlte ich mich so alleine noch schlechter als in Nairobi.
Das Treiben am Flughafen nahm inzwischen deutlich ab. Ich war offensichtlich mit der letzten Maschine angekommen. Die Gepäckbänder waren leer und ich fragte mich, wann der Flughafen wohl geschlossen würde. Oh Gott! Ich wartete ungeduldig im Gebäude und ließ den Eingang nicht aus den Augen.
Plötzlich erschienen zwei Schwestern. Ganz in Weiß gekleidet. Wie rettende Engel begrüßten sie mich mit einer innigen Umarmung. Ich war erlöst von meinen sorgenvollen Gedanken.
Draußen war es stockfinster. Wir gingen auf einen Parkplatz. Ohne die Schwestern hätte ich keinen Schritt gemacht. Lauter dunkle Gestalten. Wir steuerten auf einen Jeep zu. Die Schwester überlies mir den Sitz neben dem Fahrer, damit ich mich sicherer fühlen sollte. Hinten saßen noch drei oder vier Männer und die beiden Schwestern. Ich fragte mich, ob das ein öffentlicher Transporter war?
Wir fuhren los in die finstere Nacht. Eine Stunde Fahrt sollte vor uns liegen auf einer endlosen Landstraße ohne Beleuchtung. Immer wieder kamen uns Menschen zu Fuß oder auf dem Fahrrad entgegen. Ich fragte mich, woher sie kamen und wohin sie wollten. Denn sie kamen aus dem nichts und gingen ins nichts.
Der schwarze Kontinent. Nun verstand ich. Es geht also nicht nur um die Hautfarbe.
Die Straße hat natürlich keine Befestigung. Und die entgegenkommenden Fahrzeuge blenden oder sind schlecht beleuchtet. Das nennt man Abenteuer, aber davon hatte ich für heute deutlich genug.
Nach einer Stunde verließen wir die Straße und bogen ein auf einen nicht asphaltierten Weg. Hubbel, hubbel, schepper wo fahren wir denn nun hin?
Oh Gott, danke dass die Schwestern hinter mir sitzen. Meine beiden weißen Engel!
Plötzlich erschien ein Tor. Zwei Männer von Hunden begleitet öffneten es. Dahinter lag ein Weg mit Licht und Blumen. Bald danach erschien eine schöne runde Kirche. Durch die bunten Glasfenster fiel beruhigendes Licht. Und dann erreichten wir die einladende Auffahrt zum Amani Haus.
Aus der dunklen Steppe, durch das Tor in das kleine Paradies.
Nach sechsundzwanzig Stunden, endlich angekommen, ich war gerettet.
Danke lieber Gott.
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